Moldau - selbstbestimmt

Nach meiner sonderbaren Fahrtenleiterausbildung unter der wenig fürsorglichen Leitung des Herrn Barhäuptl (Name geändert) und der zwischenzeitlich erfolgten Rehabilitation sah ich mich befähigt, eine Gruppenfahrt im Ausland zu leiten. Ich wollte unbedingt das im Vorjahr verpasste obere Ende der Moldau befahren. Davon hatten schon unsere Mitfahrer geschwärmt.

1979 hatte ich die 11. Klasse an der EOS absolviert, und auch zwei kostbare Sommerferienwochen im GST-Lager der obligatorischen vormilitärischen Ausbildung geopfert. Dort durfte ich mich von Schülern der 10.Klassen ungestraft in den Hintern treten lassen, sofern sie als Berufsoffiziersbewerber der NVA den höheren Dienstgrad hatten. Als Krönung des Vertrauens der regierenden Arbeiterklasse sind wir nachts mit richtigen Soldaten am Ostseestrand von Prerow/Darss Streife gelaufen und mussten Romantiker, die 40 Kilometer Luftlinie vor Dänemark nach Sonnenuntergang nichts mehr dort zu suchen hatten, aufscheuchen und vertreiben.

Von acht Ferienwochen verblieben immerhin noch sechs, und die waren mit Paddeltouren vollständig verplant. So sollte es selbstbestimmt auf die Moldau gehen, niemand würde uns vorschreiben, was wir wann und wie zu tun hätten.
Die ČSSR erschien uns als ein Wunderland für Menschen, die ihren Urlaub gerne in der Natur verbrachten. Schon in Prag sahen wir unglaublich viele Menschen mit Wandergepäck in die Züge steigen. Auf dem Güterbahnhof stapelten sich riesige Mengen an x-fach geflickten Plastecanadiern. Paddeln war in der ČSSR Volkssport. Uns kam es vor, als wenn im Sommer in der DDR fast alle Menschen in FDGB-Ferienheimen verschwänden. In unserem Nachbarland gab es so etwas anscheinend nicht, dort ging fast Jeder paddeln oder wandern.
Unsere Gruppe bestand aus Antje, Peter, Bernd, Torsten und mir. Wir waren alle noch Schüler und konnten trotz schmaler Reisekasse günstig auf Tour gehen.

Aus unserem Gepäck-Fiasko im Vorjahr hatten wir gelernt und diesmal nahmen wir unsere Faltboote direkt im Zug-Abteil mit. Auf dem Berliner Ostbahnhof wurde unser Zug nach Prag eingesetzt und wir hatten sogar Platzkarten. Da Züge, in die man viel Gepäck einzuladen hat, bis in Gegenwart grundsätzlich erst wenige Miunten vor Abfahrt bereitgestellt werden, hatten wir in kürzester Zeit ein ordentliches Stück Arbeit zu bewältigen. Zwei von uns preschten vor, drangen in unser reserviertes Abteil ein und öffneten das Schiebefenster zum Bahnsteig. Dann wurden die Stabtaschen durchgereicht und mit ihnen wurde im Abteil eine Zwischendecke eingezogen. Darauf kamen das restliche Gepäck.
Der Zug ruckte an und wir konnten entspannt gen Prag rumpeln. Allerdings hatten wir fünf Teilnehmer nur vier Einer im Abteil. Torsten hatte drei Wochen zuvor auf der Saalefahrt einem Kanuten dessen selbstgebautes Plaste-Slalomkajak abgekauft. Das konnten wir natürlich nicht im Zug mitnehmen. Da es von Greifswald auch nicht bis in den Böhmerwald verschickt werden konnte, musste es in Prag als internationales Reisegepäck ausgelöst und im Inland weiterversandt werden. Allerding gab es eine Grenze von 15 kg je Gepäckstück, über diesem Limit hätte das Slalomboot nicht mehr privat versandt werden können. Leider lag Torstens Kajak um 200 Gramm über der Grenze. Torsten glaubte, das Problem mit Diskussionen lösen zu können und bekam später die Quittung. Wir mussten in Lenora, unserem Startort, noch mehrere Tage auf sein Boot warten, bis es mit einem planmäßigen Güterzug angeliefert wurde.

In Prag besorgten wir uns noch einen großen Topf mit Kette und Dreibein, da wir über offenem Feuer kochen wollten. So etwas war in der DDR nicht zu bekommen, und überhaupt hatten wir den Eindruck, dass die tschechischen Sportgeschäfte viel besser auf das Leben in der freien Natur eingestellt waren.
Auch die Prager Kneipen waren sehr gemütlich. Als Fahrtenleiter wollte ich in einem urigen Bierkeller unterhalb der Prager Burg meinen Leuten eine Runde ausgeben. Ich hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass sich meine Mitfahrer diesem hochherzigen Angebot verweigern würden. Da ich so erzogen worden war, alles, was man bestellt, auch aufzuessen bzw. auszutrinken, kam mir nach einem gefühlten Eimer Schwarzbier meine Gruppe kurzzeitig abhanden, nachdem wir aus dem Keller wieder ins grelle Tageslicht aufgestiegen waren.
Am Nachmittag verließen wir gemeinsam mit der Bahn Prag, um zu unserem Startpunkt an der Moldau zu gelangen.

Lenora ist ein hübscher Ort im Böhmerwald und der traditionelle Beginn vieler Moldaufahrten. Bei unserer Ankunft war es stockdunkel. Wir konnten den Campingplatz nicht finden und ließen uns an der ersten besten Stelle für eine Nacht nieder und bauten die Zelte auf. Da es Jugendliche im Allgemeinen nicht so eilig haben, morgens aufzustehen, wurden wir von der örtlichen Polizei unsanft geweckt. Unsere Zelte standen auf einem Kinderspielplatz. Warum wir den Campingplatz nachts nicht finden konnten, wurde uns klar, nachdem uns die Ordnungshüter um die fällige Geldstrafe erleichtert hatten. Der Wegweiser zum Campingplatz zeigte in die falsche Richtung.
Ordnung muss sein, werden sich die Herren gedacht haben und richteten den Wegweiser anschließend wieder korrekt aus. Das war sicher nicht ganz fair, aber Ärger mit der Staatsmacht waren Torsten und ich ja schon von der ersten Moldaufahrt gewohnt.
In den Tagen, die wir mit Warten auf Torstens Boot verbrachten, regnete es heftig. Hatten wir anfangs direkt am Moldauufer unsere Zelte aufgestellt, mussten wir nach und nach immer höher den Hang hinauf ziehen, da der Wasserstand der Moldau bedenklich stieg. Einen Tag vor dem Start brach jedoch die Sonne durch die Wolken. Sie sollte uns von nun an nur noch nachts verlassen.
Der hohe Wasserstand sorgte für eine flotte Fahrt, die Bernd allerdings schnell zum Verhängnis wurde, als er sich trotz der starken Strömung an einem Baum festhalten wollte. Unterhalb von Česky Krumlov geriet Peter in eine ausgekolkte Kurve und kenterte ebenfalls. Das Boot nahm dabei erheblichen Schaden. Die Bodenleiter war mehrfach gebrochen und konnte nur noch provisorisch bis zum Fahrtende geflickt werden.
Ansonsten hatten wir viel Spaß an unserer Tour und bezwangen vergnügt ein Wehr nach dem anderen. Ebenso fröhlich waren die vielen tschechischen Canadierfahrer unterwegs.
Wir zelteten, wo es uns gerade passte, und kochten gemeinschaftlich über offenem Feuer. So unternahmen wir eine tolle Fahrt, es gab keine Alten, die mit uns meckerten oder nur unser Bestes wollten. Vom Lipno-Stausee aus konnten wir Österreich sehen und in Lenora waren wir der Bundesrepublik erstaunlich nahe gekommen. Bis Bayern waren es keine zehn Kilometer, und so gesehen waren die Polizisten recht gutmütig gegenüber uns Schwarzcampern am Grenzgebiet.
Wir besichtigten Museen und Kneipen und holten eigentlich alles nach, was wir im Vorjahr am Oberlauf der Moldau verpassst hatten. Wen störte da schon ein Beinahe-Totalschaden an Peters Boot oder ein nasser Schlafsack?

Die Moldau bot uns herrliches Wildwasser, das sich in Faltbooteinern gut befahren ließ. Dass die Gewässergüte immer mehr abnahm, nahmen wir hin, denn wir waren es von den sächsischen Flüssen nicht anders gewohnt.

So paddelten wir unbekümmert bis Budweis. Unseren schönen Hordentopf haben wir am Ende der Fahrt in der Moldau versenkt.

So doof können Jugendliche sein.

36 Jahre später habe ich dann auch das fehlende Ende von Usti bis Dresden nachgeholt, der Kreis hat sich geschlossen.

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