Werner Wrage - "Faltbootfahrten im Wattenmeer - Erlebtes Watt"

Das Projekt |  Über Werner Wrage |  Das Buch |  Die Fotoalben | 

Erlebtes Watt - Faltbootfahrten im Wattenmeer

DIE LOCKENDE SEE
Es ist Nacht. In der Stille höre ich draußen die Wellen an den Strand schlagen. Es muß Flut sein. Hier drinnen scheint die Lampe auf das weiße Papier. Ich lasse die Bilder unserer Fahrten wieder und wieder durch die Hand gleiten. Wie waren wir arm an Geld und Gut, aber jung und voller Abenteuerlust und reich durch ein freies Leben in einer unbekannten Wildnis!
Wie viele mögen sich nach solch einem Leben sehnen? Soll ich davon erzählen? Ist es recht, wenn ich euren Bitten folge und die Blätter aus der Mappe nehme und sie aneinanderhefte?
Wovon berichten sie? Sie schildern sportliche Fahrten in einem an Gefahren reichen Wildwasser, vor allem aber eine der eigenartigsten und unbekanntesten Landschaften Europas, das Wattenmeer. Der Reiz des Watts liegt in der unglaublichen Fülle und Harmonie, aber auch in der Fremdartigkeit seiner Farben und Formen. Hinzu kommt das Erlebnis der Unendlichkeit, der unbegrenzten Weite, der Uferlosigkeit und Einsamkeit.
Fahrten in einer solchen Landschaft sind reich an abenteuerlichen Spannungen. Die Nächte auf dem Watt - die Fahrt im Taucherfahrzeug über die gefährlichen Sande - der Sturmritt im Faltboot über die Elbmündung - das Einsinken in Schlick und Triebsand - die Brandungsfahrten - das Leben auf den einsamen Baken - die Begegnungen mit Fischern, Jägern, Halligleuten und Leuchtturmwärtern - all diese Ereignisse sind nicht erfunden, sondern wahr und wirklich von uns erlebt worden. Wir haben die geschilderten Faltbootreisen gemeinsam unternommen. Einst lockte uns die Niederelbe mit ihrem Atem von Ebbe und Flut und ihrer schimmernden Ferne. Am Wochenende ging es mit der Ebbe stromab, der sinkenden Sonne entgegen. Auf einsamen Sandinseln und Elbhalligen standen unsere Zelte, und am Sonntag ließen wir uns von der Flut stromauf heimwärts treiben. Auf dem kilometerbreiten Strom lernten wir unser winziges Fahrzeug bei jedem Wetter meistern. Wir wurden vertraut mit Tidenkalender, Seekarte, Seehandbuch und Kompaß, mit Sand- und Schlickbänken, mit Wind und Wellen, Ebbe und Flut, mit Strudel und Strömungen.
Aber immer größer wurde unser Wunsch, hinaus aufs Meer zu gleiten und uns auf der graugrünen Salzflut der Nordsee zu wiegen, in die Urwelt des Watts einzudringen. Nach vielen Fahrten in der Elbmündung, die uns fast das Leben kosteten, durchforschten wir das gesamte Wattenmeer von der holländischen Grenze über die Elbmündung bis hinauf zur dänischen Nordspitze im Faltboot. Diese Reisen wurden nach gründlicher Vorbereitung, und nachdem viele Erfahrungen gesammelt worden waren, in den Jahren 1929 bis 1937 durchgeführt. Nur so konnten sie gelingen.
Es sei deshalb ausdrücklich jeder Neuling gewarnt, ohne weiteres eine Wiederholung dieser Fahrten zu versuchen. Nur wer gesund und widerstandsfähig ist, wer sein Boot vollkommen beherrscht, wer über genügend Zeit verfügt und sich langsam mit den gefährlichen Strömungs- und Witterungserscheinungen im Watt vertraut machen kann, wird Aussicht haben, Ähnliches zu erleben.
Für solche meerbegeisterten Leser ist im Anhang eine Zusammenstellung von technischen Angaben gemacht worden. Ferner ist für den Binnenländer ein Verzeichnis der wichtigsten geographischen und seemännischen Ausdrücke beigefügt, ohne deren Kenntnis sich ihm diese Welt nicht völlig erschließt.
Die Schilderung unserer Fahrten aber soll kein Selbstzweck sein. Sie ist ein demütiger Dank an die Landschaft, der wir tiefste Einblicke in das Wirken der Naturkräfte verdanken, an das Watt.

spierentonne.de - über das Leben am, im und auf dem Wasser   ©Roland Stelzer  Impressum