Wat dem einen sien Buhl, is dem annern sien Ferdinand


Die 2. Jugendqualifikationsfahrt auf der Moldau 1978 aus unserer Sicht

Am Sonnabend, dem 16.7. kamen wir nach fünfzehnstündiger Bahnfahrt in Prag an. Hier trafen wir uns mit dem Sportfreund Luitpold Barhäuptl, der uns freundlich willkommen hieß. In Prag mussten wir die bittere Feststellung treffen, dass sich unsere Boote, die wir in Greifswald gemäß der Anweisung von Barhäuptl als Reisegepäck abfertigen ließen, nicht in der dortigen Gepäckabfertigung befanden.
Sportfreund Barhäuptl, der die Boote der anderen Fahrtteilnehmer für die Weiterreise nach Lenora abfertigen ließ, empfahl uns, den nächsten Zug aus der DDR abzuwarten, unsere Boote in Empfang zu nehmen und selbständig nach Lenora/Böhmerwald nachzureisen. Er würde dort notfalls noch einen Tag auf uns warten.
Da wir am Sonntag immer noch nicht im Besitz der Boote waren, sahen wir uns genötigt, in Prag eine Unterkunft zu besorgen. Glücklicherweise bekamen wir ein billiges Zimmer in einem Studentenwohnheim. Wir setzten uns sofort mit unseren Eltern in Verbindung, da offensichtlich ein Fehler von Seiten der Deutschen Reichsbahn vorlag. Außerdem melden wir uns beim Amt für Internationale Beanstandungen in Prag, wo wir nach fünf Tagen erfuhren, dass sich unsere Boote in Bad Schandau befanden und die Staatsgrenze auf Grund verlorengegangener Zollpapiere nicht passieren durften.
So entschlossen wir uns, nach Bad Schandau zu fahren und die Angelegenheit mit den zuständigen staatlichen Organen zu klären. Dort wurde uns gesagt, dass unsere Boote am selben Tag nach Prag geschickt wurden. Hals über Kopf reisten wir nach Prag zurück, holten unsere Bote ab und fuhren gleich weiter nach Cesky Krumlov, wo unsere Gruppe an diesem Tage laut Plan zelten sollte. Dort hatten wir Schwierigkeiten mit der Miliz, da wir keinen Zeltschein vorweisen konnten.
Am Sonntag nach der ersten Woche trafen wir dann endlich auf unsere Gruppe, die uns bereits verlorengeglaubt hatte. Wir wurden freundlich aufgenommen und hatten viel zu berichten.
Da das Sportlerkollektiv in drei Gruppe a sechs Mann aufgeteilt war, wurden wir in zwei verschiedene Gruppen gesteckt. Wir wurden aufgefordert, unsere Eßvorräte der Gruppe zur Verfügung zu stellen. Herr Barhäuptl eröffnete uns, dass in einer guten Sportgruppe auch gemeinsam gegessen werde. Da wir nichts von dieser Regelung vorher wussten, hatten wir uns wertvolle Konserven aus der Heimat mitgebracht. Es entstand uns ein Schaden, denn einige Jugendliche, die nichts beisteuern konntenn, hielten sich an unserem Essen schadlos. Uns wurde schließlich eine Entschädigung von 10 Kcs (!) zugebilligt.
Auch sonst herrschte ein strenges Regime: 6 Uhr wecken, 8 Uhr Start, am späten Nachmittag Ankunft (die Etappen waren 30 - 50 km lang), Zeltaufbau, Holzholen, Wasserholen, Holzhacken, gemeinsames Essen, 20 - 21.30 Uhr Fröhlichsein und Singen am Lagerfeuer, 22 Uhr Nachtruhe. Bedingte Unerfahrenheit sowie kleine Ungeschicklichkeiten der Jugendlichen wurden von Barhäuptl als notorische Dummheit bezeichnet.
Wir erhielten eine gründliche Ausbildung im Holhacken und Feuermachen, was einen wichtigen Bestandteil der Ausbildung darstellte. Leider können wir unser erworbenes Wissen und unsere Fähigkeiten in der DDR nicht in Anwendung bringen, das Lagerfeuer im Allgemeinen untersagt sind.
In der theoretischen Ausbildung vermissten wir solche wichtigen Fragen wie Kursbuchlesen und Fahrplanzusammenstellung sowie die Unterrichtung in den gesetzlichen Campingbestimmungen der DDR.
Wir waren keine reine Wasserwanderergruppe, Rennsportler sorgten für ein ungewohntes Tempo. Obwohl wir Greifswalder bei Faltbootregatten bisher recht erfolgreich waren, hatten wir oft Schwierigkeiten, mitzuhalten. Wer hinten fuhr, hatte sich dann die Kritik des Fahrtenleiters anzuhören. Außerdem durften die hinten fahrenden Sportfreunde auf Anweisung von Barhäuptl nassgespritzt werden, was einige "Sportler" mit dem größten Vergnügen taten. So ist es nur zu verständlich, dass innerhalb der Sportgruppen ein giftiges Klima entstand, was eine gewisse Antihaltung in uns Greifswaldern erzeugte.
Für positiv halten wir, dass viele Sehenswürdigkeiten auf unserem Programm standen. Herr Barhäuptl konnte uns sachkundig durch Museen und Schlösser führen, was wir mit Begeisterung aufnahmen. Für die Besichtigung der Stadt Prag hatten wir zwei Tage eingeplant. Die Etappe nach Prag wurde ein ausgesprochener Härtetest. Nachdem wir 10 km von 30 vorgesehenen gepaddelt waren, erklärte uns der Fahrtenleiter, dass die Etappen dieses und des darauffolgenden Tages zusammengelegt werden würden und uns insgesamt 60 km bevorstünden. Wir kamen um 20 Uhr in der Nähe von Prag auf einem Kanutenzeltplatz nach zwölfstündiger Fahrt auf stehendem Gewässer inclusive 3 Staumauern (umtragen) an.
Wir wollten unser Zelt aufbauen und uns die verdiente Nachtruhe gönnen. Aber unserem Fahrtenleiter behagte der Standort unseres Zeltes nicht, sodass wir unser Bergzelt mit 14 Häringen ab- und woanders wieder neu aufbauen durften.
Die Stadtbesichtigung von Prag erfolgte im Herdentrott, an den wir uns mittlerweile gewöhnt hatten.
Auf der Strecke nach Melnik war ich verschnupft und klagte über Rückenschmerzen. Auf solche Lappalien konnte natürlich keine Rücksicht genommen werden. Es blieb mir im wahrsten Sinne des Wortes nicht die Zeit zum Naseputzen.
In Litomerice angekommen, baten wir Herrn Barhäuptl, uns die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen. Er sagte zu, wollte sich aber vorher noch die Örtlichkeiten des Zeltplatzes ansehen. Als er nach zwei Stunden immer noch nicht wiedergekommen war, entschlossen wir uns, allein die Stadt zu besichtigen.
Als wir von unserem Ausflug wiederkamen, fanden wir unsere Gruppe über uns Rat haltend. Man eröffnete uns, dass wir unfähig seien, an dieser Fahrt weiter teilzunehmen, da wir die Gruppe spalten würden, körperlich nicht in der Lage seien zu paddeln und auch sonst keine guten Kanuten seien. Was wir unter Hinweis auf die Sehenswürdigkeiten zu erwidern hatten, wurde als erlogen und erstunken dargestellt. Barhäuptl äußerte "Was Sehenswürdigkeiten sind, bestimme ICH!". Wir wurden als seine größte Katasrophe seiner Laufbahn bezeichnet. Des weiteren erging sich Barhäuptl in Beschimpfungen des BFA und der Kanuten aus dem Bezirk Rostock. Wörtlich "Falls ihr in Greifswald einen Menschen habt, der etwas von Kanutouristik versteht, muss ich ihm sagen, dass er zwei schlechte Sportler geschickt hat." Gegen diese unqualifizierte Beleidigung haben wir uns entschieden verwahrt. Barhäuptl wies alle Sportfreunde darauf hin, dass er über Jeden eine Beurteilung schreiben würde und sich deshalb Jeder seine Meinung über uns genau überlegen sollte. Danach wurde abgestimmt, ob wir weiter mit der Gruppe fahren dürften oder die Heimreise antreten sollten.
Laut Gruppenbeschluß sollten wir dei Fahrt in Usti n. L. beenden. Als wir uns etwa 4 km vor Usti befanden, erklärte uns Barhäuptl, dass wir hier unsere Boote abbauen müssten. Wir baten, wenigstens bis zum Stadtzentrum fahren zu dürfen. Er lehnte ab. Auf unseren energischen Protest antwortete er uns mit der Frage, ob er uns körperlich dazu zwingen solle, auszusteigen und die Boote abzubauen.
Die Verabschiedung war rührend! Unter Zeugen entledigte er sich seiner Verantwortung als unser Fahrtenleiter, warnte uns, Unwahrheiten über ihn und die Fahrt zu verbreiten, er würde sonst Wege und Mittel dazu finden, und Fahrten ähnlichen Charakters zu sperren, entschuldigte sich dafür, dass die Gruppe nicht in unserem Sinne abgestimmt hätte, er jedoch gerne mit uns weitergefahren wäre, aber gegen die Entscheidung eines ganzen Kollektivs könne man ja nur schwerlich etwas unternehmen.

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