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Die erste Auflage des vorliegenden Buches hat unter Faltbootfahrern und Kanuten viele Freunde gefunden; aber in noch höherein Maße wurde es von Menschen gelesen, die sich für die großartige Landschaft unserer Nordseeküste interessierten und ihr Wissen über dieses Gebiet erweitern wollten. Da aber dieser Kreis von Menschen zweifellos größer ist als der der passionierten Wasserwanderer und viele sich unter dem ursprünglichen Titel ein reines Sportbuch vorstellten, wurde auf mehrfache Anregung hin der Titel geändert.
In der Tat enthält dieses Buch, wie der aufmerksame Leser vielleicht empfunden hat, eine für den Rahmen des Büchleins recht umfangreiche Naturgeschichte der deutschen Wattgebiete. Auch heute noch ist der Verfasser auf diesem Gebiet der Küstenforschung tätig, und es liegt ihm daran, auch in diesem Erlebnisbuch die Entstehung, die regionale Gliederung und die reiche Formenwelt einer der großartigsten Landschaften unseres Erdballes zu schildern.
Von den mit glitzerndem weichem Schlick erfüllten stillen Buchten mit den kilometerlangen Faschinendämmen der Landgewinnungswerke, von den unterwaschenen Steilkliffs der vorspringenden Abbruchkanten geht es hinaus auf die unbegrenzt erscheinende Fläche der Mischwattrücken und der Platen mit ihrem vielfältig verzweigten Prielgeäder, dunkel übertupft mit Miesmuschelbänken und hier und da weiß gerändert oder gefleckt von schimmernden Schillflächen. Weit draußen zur offenen See hin erheben sich ausgedehnte Sandbänke, die Sturmfluten und Brandung dort aufgeschaufelt haben. Dort ist das Reich der Brandungsbänke, und auf den Außensänden und in den Wattstrommündungen finden sich vornehmlich die schon im Flugbild auffälligen Strombankformen, die manche Fischer auch Wellensände nennen.
Von dem tausendfachen geheimnisvollen Leben in den verschiedenen Stockwerken des Schlickwatts, von der Schönheit und Vielfalt der Oberflächenformen, die Strömung und Seegang im Watt modellieren, von der bizarren oder zierlichen Gestalt unzähliger Planktonorganismen und Tiere der Nordsee vermag dieses Buch leider kaum eine Ahnung zu vermitteln. Aber es erfüllt seine Aufgabe, wenn es die Sehnsucht weckt, sich damit zu beschäftigen. Seit 25 Jahren versucht der Autor, die Waltlandschaft und ihre Lebensformen im farbigen Lichtbild zu erfassen, und hat in zahllosen Lichtbildvorträgen darüber berichtet, seit 30 Jahren beschäftigt er sich immer wieder mit dem Watt, und doch vergeht kaum ein Jahr, in dem er nicht irgend etwas Neues, für ihn noch Unbekanntes, entdeckt.
Viele werden mit mir dem Verlag dankbar sein, daß er durch die Aufnahme von Phototafeln einen unmittelbaren Anblick der wichtigsten Formen dieser weiten Küstenlandschaft ermöglicht hat. Das wird vor allem für die Binnenländer gelten, denen dieses Gebiet noch unbekannt ist. Wenn auch viele der Zeichnungen meines Fahrtenfreundes Hans Kahlbrandt in der ersten Auflage kleine Kostbarkeiten waren, so konnten sie solche Naturdokumente doch nicht völlig ersetzen.
Es ist nun leicht möglich, daß sich durch die Lektüre dieses Buches Naturfreunde bewegen lassen, meine Fahrten nachzumachen. Für solche möchte ich ein Erlebnis schildern, das mir die Inhaberin einer Buchhandlung im Küstengebiet berichtete. Ein Kapitän war in ihren Laden getreten und hatte auch die erste Auflage dieses Buches in die Hände gekriegt. "Faltbootfahrten im Wattenmeer", sagte er, "solch unverantwortlicher Leichtsinn! Das Buch sollte man verbieten! Das werde ich nie kaufen oder gar lesen!" Auf die lachende Feststellung der Buchhändlerin, daß er dann ja auch nicht darüber urteilen könne, entgegnete er: "Das brauche ich auch nicht! Der Titel genügt mir." Schade, daß das Buch noch nicht den Titel dieser zweiten Auflage hatte. Dann hätte er es vielleicht gelesen und sich überzeugen lassen, daß hier kein Leichtsinn propagiert wird. Gerade die folgenden Zeilen, die sich an die wenden, die trotzdem eine solche Fahrt versuchen wollen, werden jedem Einsichtigen verraten, daß das Erlebnis dieser Landschaft mit Lebensgefahr verknüpft sein kann. Deshalb hat das Watt - genauso wie das Hochgebirge - nur einen begrenzten Kreis von Menschen in sein Reich gelassen.
Das Boot: Geeignet sind alle Faltboote, die eine kleine und enge Sitzluke mit kräftigem und hohem Süllbord haben. Auch Zweier sind zu verwerten, wenn die Mannschaft gut aufeinander eingestellt ist und Erfahrung hat. Ein hochgezogenes dachartiges Vor- und Achterdeck ist für guten Ablauf der Seen unerläßlich. Man nehme nicht zu kleine und zu niedrige Boote.
Am besten sind Einer. Zwei vollbeladene Einer sind leichter über das Watt zu schleppen als ein Zweier. Außerdem ist der Einer wendiger, hat im Verhältnis größeren Stauraum und liegt besser im Seegang. Seine Sitzluke und Spritzdecke läßt sich auch meist besser wasserdicht abschließen als beim Zweier. Fußsteuer, Reservepaddel, kleines Treibersegel, Faltbootwagen und lange Treidelleine sind sehr vorteilhaft, wenn auch nicht unbedingt nötig.
Teure Boote sind meist auf die Dauer billiger als billige, aber nicht immer. Alle Beschläge müssen bei Salzwasserfahrten unbedingt aus Messing sein. Duraluminium zerfällt und zerbröckelt nach kurzer Zeit durch Oxydation im Salzwasser. Gerüstteile gut lackieren oder ölen! Zum Verschließen der Sitzluke ist außer der Spritzdecke, auf deren Konstruktion man besonders viel Wert legen muß, eine Persenning mitzunehmen, die man während der Rasttage über die Sitzluke spannen kann, so daß kein Regen und vor allem kein Sand hineinkommen kann.
Zelt und Schlafsack: Man kann in einem Zelt aus Zeltbahnen und in einer Wolldecke schlafen, wenn man jung ist. Besser aber ist ein Hauszelt mit angenähtem wasserdichtem Gummiboden und winddichtem Verschluß. Gute Heringe, die sowohl in harten Kleiboden eindringen als auch in weichem Dünensand halten, sind wichtig. Ein geräumigeres Zelt ist bei langen Sturm-, Regen- und Schlechtwettertagen sehr angenehm. Ein Daunenschlafsack und eine aufblasbare Gummimatratze sind ideale Gegenstände, mit deren Hilfe ich auch eine achttägige Grippe im Zelt gut überstanden habe. Der Daunenschlafsack muß selbstverständlich eine waschbare Leineneinlage haben.
Ausrüstung: Unerläßlich sind aufblasbare Spitzenbeutel, die das Boot unsinkbar machen, und wasserdichte Beutel (am besten aus gummiertem Stoff), in denen alles andere untergebracht wird. Man braucht einen für Wäsche und Landkleidung, einen für das Zelt, einen für den Schlafsack, einen für Photosachen, einen für Schreibzeug, Karten, Seehandbücher, Kompaß und dergleichen, einen für wasserempfindlichen Proviant. Als Kocher sind Petroleumgaskocher geeignet. Ich habe trotz der angeblichen Explosionsgefahr gute Erfahrungen mit einem Benzinkocher gemacht. Benzin ist auch noch leichter erhältlich. Zwei Töpfe, eine Pfanne, Windschutz, Blech- oder Kunstharzteller, Eßbesteck, Topfanfasser nicht vergessen. Manche bevorzugen einen kleinen Koffer für die unterwegs benötigten Lebensmittel und Eßutensilien, den sie hinter sich in der Sitzluke verstauen. Waschzeug, Handtücher (eins davon ständig zum Fußabtrocknen im Boot bereit) nicht vergessen. Praktisch ist eine Seife, die auch im Salzwasser schäumt. Nähzeug, darunter auch Segelmacherzwirn zum Zelt- und Bootreparieren, Reparaturbesteck fürs Faltboot (Gummilösung, Klebstreifen, Schraubenzieher, Ersatzhülsen) und Apotheke (Verbände, Jodtinktur, Fieberthermometer, Fiebermittel) nicht vergessen.
Kleidung: Wollsachen zum Unterziehen an kalten Tagen. Wollschal. Trainingsanzug, Windblusen, Ölzeug oder Gummijacken, am besten Kapitak (festschließende Gummijacke nach Art der Eskimos), Wäsche und Landkleidung, Gummisandalen für Muschelbänke, Ölhose für Wattwanderungen bei Regen.
Der Fahrer selbst: Er muß gesund, widerstandsfähig, besonnen und vor allem ein guter Kamerad sein. Er muß ganz erfüllt, ganz besessen sein von der Liebe zum Watt und zum Meer. Er muß Seekarte und Kompaß kennen, für die Witterung einen "Riecher" haben, sein Boot vollendet beherrschen und seine Fähigkeiten mit Überlegung einsetzen können. Er muß für eine richtige Wattenfahrt Zeit haben und vor allem langsam Erfahrungen sammeln. Trotz allem ist eine Fahrt im Wattenmeer immer gefährlich.
Fahrtanweisungen: Es lassen sich schwer für jeden Fall verbindliche Anweisungen geben. Strömungen und Witterungsverhältnisse, Abhängigkeit der Wellenhöhe und -form von Wind, Tiefe und Untergrund, Gezeitenströmung und Relief des fraglichen Wattengebietes können nur nach längerer Erfahrung, nach gründlicher Geländekenntnis richtig erkannt werden.
Für den Anfang merke man sich: Kurze Tagesleistungen während der Hochwasserzeit! Man suche sich möglichst solche Start- und Landeplätze, die in der Nähe größerer Priele oder Wattströme liegen. Genau Tiden und Tidenwechsel beachten! Möglichst Fahrten gegen die Strömung, vor allem gegen die Ebbströmung, vermeiden! Vorsicht vor Wattkanten bei auflandigem Wind! An den Zusammenflußstellen von größeren Prielen und Wattströmen tritt kurze hohe See, sogenanntes Kabbelwasser, auf - ebenso vor der Wattzone im Gebiet der Außensände. Vorsicht! - Bei ebbenden Wassern Vorsicht vor Schlickzonen und Triebsandgebieten. Sie sind zwar selten so, daß man ganz darin versinkt, können aber ungemütlich werden. Sie finden sich vor allem in der Nähe und beim Zusammenfluß von Prielen und Wattströmen. Wattrücken nur zur Hochwasserzeit queren! Ausgedehnte Miesmuschelbänke und Schillrücken sind für die Faltboothaut nicht gerade vorteilhaft. Beim Bootstransport das entlastete Boot tragen, nicht schleifen. Nur im Schlickwatt kann man es stellenweise wie einen Schlitten über den Schlamm ziehen.
Es ist gut, wenn man die Kentertechnik der Eskimo wenigstens teilweise beherrscht. Sie nützt uns zwar im Watt und in der Brandung nicht viel, aber die damit verbundene Beherrschung des Bootes kann sehr wichtig werden, vor allem das Abfangen des kenternden Bootes durch Paddeldruck, das ja auch im Text mehrfach erwähnt wurde. Man sollte vor jeder Abfahrt mit einem Kentern rechnen, vor allem bei Brandungsfahrten, und deshalb alles wasserdicht verstauen und das Boot durch gute Spitzenbeutel unsinkbar machen, ja, möglichst das Kentern und "Unterwasseraussteigen" mit beladenem Boot üben.
Vorsicht bei um Süd drehenden Winden, bei Gewittern und bei zunehmendem Wind! Niemals bei einer solchen Wetterlage eine längere Fahrt ertrotzen wollen - unter dem Motto: es geht vielleicht doch noch gut! - Ein Irrtum könnte das Leben kosten.
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